Radiohead, Best Kept Secret Festival 2017, Tilburg

Konzert: Radiohead

Ort: Ferienpark Beekse Bergen, Tilburg

Datum: 18.06.2017

Dauer: 130min

Zuschauer: 25.000 ausverkauft

 

Thom Yorke tanzt. Er windet sich in seiner Rumpelstilzchen-Art über die Bühne. Fast sieht es so aus, als würde er sich mit seinem Mikrofonkabel selber fesseln, so wild dreht er sich im Kreis, bis er sich plötzlich spontan das Haargummi vom Kopf reißt und nun endgültig wie ein wilder Indianer ausschaut. 

Selten waren die Erwartungen an ein Konzert höher. Radiohead spielten beim Best Kept Secret ihre erste Festivalshow in den Niederlanden seit 2001. Am Morgen wurde noch, nach Öffnung des Geländes, drei Stunden an der Bühne gefeilt. 

Unzählige, riesige Variospots und Leinwände wurden an die Bühnendecke montiert. Die Spielzeit im Programm war mit 150 Minuten nach hinten komplett offen, alles war vorbereitet. 

Aber bevor es auf der Hauptbühne losgeht war noch ein andere Höhepunkt zu bestaunen. Jonny Greenwood begleitete sein Projekt "Junun" aus indischen Musikern eine volle Stunde an der Gitarre. 

Und was war das bereits für ein Konzert. Die Musiker marschieren gleich zu Beginn durch das komplette Zelt, mit Pauken und Trompeten. Ein wahnsinniges Orchester bot sich da, gewandelt in traditionellen Gewändern, entfachten sie einen Rausch an Rhythmus und Leidenschaft.

Greenwoods Beiträge hielten sich, anders als bei Radiohead, dezent im Hintergrund. Viel toller war sein Lächeln auf der Bühne zu beobachten. Die meiste Zeit saß er, enspannt mit den Haaren wedelnd, auf einem der Teppiche am Boden und genoss das wilde Treiben auf der Bühne. 

Junun - Trailer Funkhaus Berlin 2016

Die letzte Umbaupause vor dem Headliner. Hier im Sand neben dem See lässt sie sich prima bei einem netten Plausch mit zwei extra angereisten Schotten verkürzen. Dann glüht die Leinwand vor, erlischt wieder und Radiohead betreten die Bühne, bewaffnet mit diversen Xylophon-Klöppeln.

Daydreaming eröffnet den Abend, und welche andere Band könnte ein so lang ersehntes Konzert mit einem so traumhaft ruhigen Stück beginnen ?

Es perlt aus den Boxen, ganz leise und soviel schöner als auf CD ist das Arrangement. Überhaupt wird es an diesem Abend eine Vielzahl von Songs geben, die so perfekt umgebaut wurden, wie man es von der Band bisher nicht kannte.

Alle Balladen wirken ruhiger und klingen runder und vollendeter als je zuvor. Natürlich haben Radiohead ihr Werk bei jeder Tour einer Bearbeitung unterzogen, aber irgendwas ist heute anders.

Natürlich gibt es den gewohnten Mix aus Songs die die Band spielen möchte und denen, die das Publikum am liebsten hört. Aber auf der Bühne ist eine Veränderung erkennbar. 

Yorke scheint auf dieser Tournee zum ersten Mal wirklich Spaß zu haben, hat sich mit alten Klassikern anscheinend versöhnt, singt sie nicht mehr abfällig oder extra schludrig, nur um sein Ego zu beruhigen.

Vielleicht waren es die Schicksalsschläge der letzten Jahre, seine Ex-Frau verstarb nach einer Krebserkrankung, oder auch die Mílde des Alters. Den Fans soll es egal sein, hier erlebt man Radiohead endlich wieder als traumhaftes Gesamtkunstwerk.

Jedes Detail sitzt und trotzdem ist die Band in der Lage die Setlist jeden Tag fast komplett umzubauen. Alles klingt wirklich live, nicht wie bei "Arcade Fire" am Abend zuvor, wo die Show wichtiger schien als der Song.

Dabei ist die Show auch hier bombastisch. Alles glüht und leuchtet im tollstem Ornat. Besonders eine Art Rostfarbe verwandelt die Bühne in eine Art Marslandschaft, die fantastisch aussieht. 

Was muss das für ein Gefühl auf der Bühne sein, wenn ein Festivalpublikum bei den leisesten Passagen und Songs ohne einen Zwischenruf lauscht. Die wohl höchste Anerkennung, die einem als Festivalband zuteilwerden kann. 

"Street Spirit" beendet den ersten Teil und neben mir liegen sich die zwei Schotten in den Armen, mit nassen Augen. Wer jetzt noch Zugaben benötigte wurde nicht enttäuscht. Das unzerstörbare "Paranoid Android" knallt aus den Boxen, Greenwood gibt den alten Derwisch und mit "There There" endet der Set, diesmal nicht mit einer Ballade.

Danach sinkt man benommen in den Sand. So etwas kommt so schnell nicht wieder. Wahrscheinlich in circa 20 Jahren, denn das war mein bestes Radiohead Konzert seit 1997 in der Bonner Biskuithalle. 


Dieser Artikel erschien zuerst im Konzerttagebuch (Mein Zuhause. Mein Blog). Das Konzerttagebuch umfasst ca. 4000 Live Konzert- und Festivalberichte.