Online-Konzerte in der Praxis

Seit dem Corona-Lockdown stehen die Konzerthallen und Veranstaltungs-Locations weltweit leer. Eine Welt ohne Live-Musik – das funktioniert nicht. So wird die Digitalisierung für Online-Konzerte genutzt. Was ist der Unterschied zu herkömmlichen Konzertpräsentationen im digitalen Format?

Musik heilt besonders in Zeiten von Corona

Das Angebot von Online-Konzerten

Social Distancing soll gesund halten oder machen. In Kombination mit der allgemein heilenden Wirkung von Musik können durch Online-Konzerte im Kampf gegen Corona vielleicht wahre Wunder bewirken. Kritische Stimmen, Vor- und Nachteile und Kompromisse lassen Online-Konzerte in ein aktuell kontroverses Licht rücken. Doch das Angebot ist vielfältig. Tägliche Livestreams erfolgen auf Portalen wie Twitter, Instagram und YouTube. Websites zeigen ähnlich wie eine Fernsehzeitung oder ein Festival-Planer das aktuelle und tägliche Programm an. Internatoinale Künstler wie Green Days Sänger und Gitarrist Bille Armstrong spielen montags einen Coversong in ihrem Haus und deutsche Künstler wie Joy Denalane & Max Herre oder auch Clueso reihen sich in die Garde der Online-Konzert-Musiker ein.

Streamen und Spenden für die Zukunft

Weil aufgrund der vielen Absagen Kulturschaffende um ihre Existenz bangen, unterstützt die Initiative #kulturretter aus München kleinere Bands, Autoren, Gruppen, Künstler und weitere Kulturschaffende dabei, Livestreams im Internet zu präsentieren und ihre Angebote dadurch aufrecht erhalten zu können. Auf dem You-Tube-Kanal der Initiative werden regelmäßig Veranstatungen gepostet. Durch Spenden via Ticketmaster kann ein Ticket für fünf Euro erworben werden, sodass auch in Zukunft Konzerte und Live-Events von Künstlern geboten werden.

Bei den Stars im Wohnzimmer

Chris Martin bot mit seinem Wohnzimmer-Konzert unter dem Hashtag #TogetherAtHome einen Auftakt und spielte Coldplay-Songs solo. Über Instagram unterhielt er sich mit seinen Fans und ersetzte dadurch die sonst gängige Kommunikation von Musiker und Publikum zwischen Bühne und Zuschauerraum. Auch Metallica trösten ihre Fans mit regelmäßigen Konzerten. Jeden Montag wird aus dem Filmarchiv der Band ein Konzert als Stream auf ihrem YouTube- und Facebook-Kanal. In voller Länge wird dieses Konzert gegen 1 Uhr deutscher Zeit ausgestrahlt. MTV Unplugged präsentiert seine berühmte Konzert-Reihe ebenfalls auf diese Art und Weise. So werden persönliche Möbel-Requisiten der Musiker präsentiert und ersetzen die Bühnenshow. Wyclef Jean ist beispielsweise vor einem riesigen Aquarium zu sehen.

Kultur und Klassik im Livestream

Als Wahrzeichen der Hansestadt stellt die Elbphilharmonie auf ihrer Homepage in der Mediathek Höhepunkte von unterschiedlichen Konzerten als Mitschnitte zur Verfügung. Klassik, Jazz und andere musikalische Richtungen werden auf der Website präsentiert. Darüber hinaus stellen Guides markante Orte des Konzerthauses vor und führen online direkt auf die Dachterrasse des imposanten Gebäudes. Die Berliner Volksbühne ist ebenso vertreten. Zur Krisenbewältigung trägt auch der Stargeiger Daniel Hope bei, indem er mit Musik und Gesprächen zu sich ins Wohnzimmer einläd. Der Pianist Igor Levit spielt ebenfalls in seinem Wohnzimmer und präsentiert seine Konzerte auf Instagram und Twitter. Wer ein erweitertes Angebot wahrnehmen möchte, kann sich auf den Websites von Plattenlabels, Venues, Radio- und TV-Sendern informieren. Arte und der österreichische Radiosender FM4 gehören beispielsweise dazu.

Ein schwacher Trost

Als Übergangslösung werden Online-Konzerte von Künstlern und Publikum akzeptiert. So teilt der ostwestfälische Bluesmusiker Greyhound George seine Erfahrung über sein Digital Monday Konzert am Ostermontag mit: "Das online Konzert ist hat schon Spaß gemacht, aber es ist eine eher schräge Erfahrung gewesen. Blues, wie ich ihn spiele, ist auch ein Gemeinschaftserlebnis und wenn die Gemeinschaft fehlt, wird es merkwürdig."

Täglich postet Greyhound George mit Songs mit Gesang und Gitarre aus seiner Wohnung als fiktiven Radiosender namens "Apple Street Radio". Eine Übergangslösung, die sein Publikum bei Laune hält, doch der Musiker sieht seine Aktionen auf Apple Street Radio nicht wirklich als Konzert. "Das sind eher kleine musikalische Clips zur Unterhaltung der Leute, die das in dieser Zeit einfach brauchen. Das meiste hat ja auch mit meinem eigentlichen Bühnenprogramm wenig zu tun."

Ein Online-Konzert für die Fans

Bassist Max der Band "For Next Time" aus Thüringen Heiligenstadt hat mit seiner Band ein Online-Konzert veranstaltet und es via Livestream über YouTube freigegeben. Der Auslöser war die Enttäuschung der Fans, als ein Radiointerview mit der Band aufgrund des Corona-Shutdowns abgesagt werden musste: "Wir haben unser Interview groß angekündigt und als es dann ausfiel, waren viele Fans bitter enttäuscht. Da haben wir begriffen: Wir müssen zeigen, dass wir da sind! Das Publikum unterstützt uns. Man hat als Musiker eine Verantwortung. Es ging uns nicht ums Geld verdienen, sondern um unsere Außenwirksamkeit. Wir haben Leute in einer Facebook-Gruppe eingeladen, sich unser Konzert anzuschauen und auch Spenden erhalten."

Eine penible Planung des Konzertes war die Voraussetzung für das gelungene Konzert: "Die Absage des Radio-Interviews hat uns motiviert, etwas zu drehen, was das Interview toppen könnte. Es reichte uns nicht, einfach eine Kamera aufzustellen. Wir brauchten ein Team aus einem erfahrenen Tontechniker, Videotechniker und so weiter. Eine grundlegende Konzert-Struktur war ebenso wichtig wie die aktuellen Rahmenbedingungen, die die Coronakrise mit sich bringt. Als fünfköpfige Truppe brauchten wir eine große Bühne, um den den Mindestabstand einhalten zu können. Außerdem mussten wir auf die gewohnte Verbeugung Arm im Arm verzichten und Handschläge waren auch nicht möglich."

For Next Time ist sich einig: "Für uns war das Konzert eine Möglichkeit, Reichweite zu erzielen. Allgemein kann man durch ein Online-Konzert natürlich auch ein Netzwerk aufbauen. Präsenz ist uns sehr wichtig."

Online-Konzerte von For Next Time

Fluch und Segen zugleich

Auch das Singer/Songwriter-Duo "White Coffee" aus Herford können von positiven, aber auch negativen Erfahrungen ihrer Online-Konzerte berichten: "Die Leute freuen sich, uns live zu erleben. Online haben wir mehr Reichweite, wenn wir über Instagram für Menschen in Berlin spielen können", bemerkt Gitarrist und Sänger Andy. Eine Gefährdung der Live-Konzerte auf realen Bühnen nach dem Corona-Lockdown sieht Sängerin Jenny nicht: "Die Menschen wollen den persönlichen Kontakt und die Location bei Konzerten erleben. Es ist genauso wie beim Online-Shopping. Es funktioniert zwar, aber man möchte doch lieber vor Ort sein. Locations sind bei Konzerten so wichtig! Sie geben doch einen Großteil der Atmosphäre."

Gerade bei kleinen, familiären Konzerten könne kein Online-Konzert die besondere Stimmung ersetzen, findet Andy. Auch die digitale Interaktion mit dem Publikum sei gewöhnungsbedürftig: "Man muss spielen, singen, die Kommentare lesen und darauf eingehen. Das fühlt sich komisch an. Wir setzen uns vor eine tote Maschine, um gute Laune zu verbreiten."

Die unsichere, technische Übertragung der Konzerte habe bisher glücklicherweise keine Schwierigkeiten bereitet und auch die Soundqualität sei bei den Online-Konzerten in Ordnung gewesen. "Wir versuchen, so viel wie möglich selbst zu beeinflussen", erklärt Andy. Verstärker, Mikrophon und die Anlage werden beim Soundcheck mit einem für die Band gut klingenden Lautstärkepegel ausgerichtet, sodass die Übertragung mit dem Tablet läuft. Letztendlich komme es aber auf das Abspielgerät des Zuschauers an.

"Wir machen das für uns und unser Publikum, weil wir alle Spaß an der Musik haben. Aber das Nutzerverhalten ist anders. Man kann sich plötzlich zwischen vielen Online-Konzerten entscheiden und wie beim Fernsehen hin- und herzappen. Der Wert unserer Musik bleibt zwar, wenn man uns sehen will, aber die Chance bei Online-Konzerten ist größer, das Publikum zu verlieren."

Hilfe oder Gefährdung?

"Richtigen, technisch und musikalisch perfekten Online-Konzerten stehe ich eher kritisch gegenüber. Es gibt da eine Diskussion und ich bin auch der Meinung, dass wir uns nicht leisten können, unsere Musik in ihrer ganzen Schönheit und mit dem hohen Arbeitsaufwand einfach online zu verschenken."

Obwohl die Spendenaktionen bei Online-Konzerten die Zukunft und Existenzen der Musiker retten sollte, sieht Greyhound George in genau diesem Punkt eine Gefährdung der Musiker: "Unsere Arbeit verliert dadurch ihren Wert. Wenn die Musik einmal technisch perfekt online zu hören und sehen ist, werden viele gar kein Geld mehr für CDs und Tickets bezahlen wollen. Für mich geht nichts über die Interaktion mit lebendigen Musikern und Publikum. Wenn ich irgendwas aus Corona gelernt habe, dann das!" So macht Greyhound George allgemein auf die Gefährdung der Kunst und Kultur aufmerksam. Wenn der direkte Austausch mit dem Publikum und die Plastizität der Kunstgegenstände fehlt, verändert sich das Statement.

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Bildquellen: Dollar Gill on Unsplash, For Next Time